Working Definitions & Charters

Internationale Gedenkstätten-Charta

Einleitung

Gedenkstätten tragen Verantwortung für den Schutz der Würde der Opfer vor allen Formen der Ausbeutung und sie müssen, jenseits des herkömmlichen Geschichtsunterrichts, gewährleisten, dass die Interpretation politischer Ereignisse zu kritischem und unabhängigem Nachdenken über die Vergangenheit anregt. Deshalb ist es an der Zeit, dass Gedenkstätten, als eine einzigartige Form des zeitgenössischen historischen Museums, eine Grundlage für ihre Zusammenarbeit auf einer nationalen und internationalen Ebene finden.

Der organisatorische Rahmen für ein internationales Konsortium wurde bereits ins Leben gerufen: Die Task Force für Internationale Kooperation bei Holocaust-Bildung, -Gedenken und -Forschung hat die Aufgaben, Einrichtungen zu unterstützen, die der Opfer der Nazis gedenken sowie die Erhaltung der historischen Orte, der Quellen und der Artefakte im Geist und der Zielsetzungder Stockholmer Erklärung zu fördern.

Als Folge ihrer Eingliederung in das International Council of Museums (ICOM) und der Anerkennung der universellen ethischen und politischen Prinzipien der UN-Charta ist es die Aufgabe des International Committee of Memorial Museums (IC MEMO), die universellen Menschen- und Bürgerrechte und die sorgsameWahrung von Kulturgütern aufrecht zu erhalten. Das IC MEMO fungiert als Dachorganisation für viele verschiedene Gedenkstätten, die sich in Europa, Afrika, auf dem amerikanischen Kontinent und in Asien den Opfern der Staatstyrannei widmen.

Charta

Es handelt sich um eine internationalen Gedenkstätten-Charta, die sich an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO und an den ethischen Prinzipien des ICOM orientiert. Die allgemeinen Prinzipien des Gedenkens in Gedenkstätten lauten wie folgt:

1. Eine gemeinsame Erinnerungskultur kann und darf nicht per Dekret erzwungen werden. In Anbetracht der sehr unterschiedlichen historischen Erfahrungen sollten Gedenkstätten von der Koexistenz unterschiedlicher Erinnerungsnotwendigkeiten ausgehen, die die Schaffung pluralistischer Erinnerungskulturen zum Ziel haben. Institutionen sollten auf Zusammenarbeit ausgerichtet sein statt auf die Förderung des Wettbewerbs, der in ein Ringen um Überlegenheit ausarten kann. Sollte dieses Unternehmen gelingen, so könnte allmählich eine gemeinsame Erinnerungskultur aus einer Vielzahl von dezentralisierten Initiativen entstehen.

2. Eine pluralistische Erinnerungskultur bedarf auch eines gemeinsamen Satzes positiver Werte. Diese existieren bereits in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung.

3. Als Geschichtsmuseen der Gegenwart beschäftigen sich moderne Gedenkstätten vorwiegend mit dem Gedenken an Verbrechen gegen Minderheiten. Aus diesem Grunde tragen Staaten, Regierungen und Gemeinden eine große Verantwortung für Gedenkstätten und sollten deren Sammlungen schützen und ihnen die größtmögliche Unabhängigkeit von politischen Direktiven gewährleisten. Gleichzeitig müssen sich Gedenkstätten fest in der Zivilgesellschaft verankern und sich besonders für die Integration der Minderheiten einsetzen.

4. Moderne Gedenkstätten sind Museen der Zeitgeschichte mit einer besonderen Verpflichtung zur humanitären und staatsbürgerlichen Bildung. Gedenkstätten werden sich nur dann gegen bestimmte politische Interessen und Lobbyisten behaupten können, wenn es ihnen gelingt, qualitative Arbeit, Infrastruktur und personelle Organisation auf eine hohe Stufe zu bringen.

5. Grundsätzliche Entscheidungen in Gedenkstätten bezüglich Inhalt, Erziehung und Gestaltung sollten vor allem auf der Grundlage einer offenen, nicht-hierarchischen, pluralistischen Diskussion mit den Überlebenden, Gelehrten, Erziehern, Lobbyisten und engagierten gesellschaftlichen Gruppen getroffen werden. Die Arbeit der Gedenkstätten hat einen vorwiegend wissenschaftlichen Charakter. Staatliche Institutionen und private Geldgeber müssen dies akzeptieren.

6. Informationen, die in Ausstellungen, Veröffentlichungen und pädagogischen Projekten zu historischen Ereignissen vermittelt werden, sollten Mitgefühl erwecken mit den Opfern, als Individuen und als Gruppen, die als besondere Ziele der Verfolgung ausgewählt waren. Bei der Interpretation sollte ein Gedenken in Form von Rache, Hass und Ressentiment zwischen verschiedenen Opfergruppen vermieden werden.

7. Historische Erfahrungen müssen in historische Zusammenhänge integriert werden, ohne dabei das persönliche Leid von Individuen zu schmälern. Die Integration historischer Ereignisse sollte auf der Grundlage moderner zeitgeschichtlicher Forschung erfolgen und die wissenschaftlichen Prinzipien des Diskurses sowie multiple Perspektiven anerkennen.

8. Die Perspektive der Täter, die das Verbrechen begangen haben, muss angesprochen werden. Die Täter dürfen nicht dämonisiert werden, stattdessen sollten ihre Ideologie, ihre Ziele und ihre Motive zur Erklärung ihrer Taten herangezogen werden. Dazu gehören die institutionelle und gesellschaftliche Ordnung wie auch die jeweiligen Biographien der Täter. Die Fähigkeit, die eigene Perspektive in Frage zu stellen, beinhaltet auch die Einbeziehung der eigenen Verbrechen und der Selbstbilder in die Darstellung des “Anderen”. Die große und sehr vielgestaltige Gruppe der Mitläufer sollte auf die gleiche Art und Weise behandelt werden.

9. Gedenkstätten an authentischen historischen Orten, wo Verbrechen begangen wurden, bieten eine immense Gelegenheit für Geschichtserziehung und Gemeinschaftskunde, doch es bestehen auch große Risiken. Deshalb ist es nötig, dass Gedenkstätten ihre Erziehungsarbeit weniger nach einem Übereinkommen hinsichtlich des Inhaltes, sondern mehr nach universellen Prinzipien ausrichten. Diese verlangen, dass Besucher weder überfordert noch indoktriniert werden, dass die subjektive Sicht der Individuen respektiert wird, und dass kontroverse Themen auch kontrovers behandelt werden.

10. Gedenkstätten als Museen der Zeitgeschichte üben stets Selbstkritik an der eigenen Geschichte und müssen dies in eine Geschichte der jeweiligen Erinnerungskultur einbetten. In Kenntnis aktueller Denkrichtungen sollten sie ihre Präsentationen nach aktuellen Interpretationen der Vergangenheit richten, sie aber gleichzeitig in den aktuellen geschichtlichen Ereignissen verankern.

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